ADAM
Das Treiben am John F. Kennedy International Airport war rege und chaotisch. Das Stimmengewirr erinnerte an einen überdimensionalen Bienenstock und Adams Kopf drohte, vor Schmerz zu zerplatzen. All diese Leute und die Geräusche trieben sein Stresslevel in ungeahnte Höhen. Das aufreizende Lächeln der Barista, die ihm gerade einen Kaffee reichte, war eindeutig und es wunderte ihn nicht, dass Kelly ihren Namen und ihre Nummer auf den Pappbecher geschrieben hatte. Nachdem ihm bereits die Stewardess schöne Augen gemacht hatte, lehnte er auch dieses Angebot unmissverständlich ab. Adam war sicher kein Kostverächter, aber im Moment konnte er bloß an das denken, was er in England zurückgelassen hatte. Er lief zielstrebig mit seinem Koffer bis zum Ausgang. Das Pochen in seinem Schädel war fürchterlich und er sehnte sich nach der Ruhe und Abgeschiedenheit eines Taxis, das hoffentlich keine indische Musik spielte. Er erinnerte sich nur zu genau an die Tortur und damit an die letzte Taxifahrt in New York vor vielen Jahren. Die hatte ihn ironischerweise genau hierher gebracht, damit er in ein Flugzeug stieg, das ihn nach England brachte, um ein neues Leben zu beginnen. Damals hatte er einen schrecklichen Kater gehabt, was sich nur mäßig von seinem jetzigen Zustand unterschied. Adam Hadley trat durch die riesigen Türen des weltweit bekannten Flughafens und atmete endlich die verunreinigte New Yorker Abgasluft ein. Das Summen des Bienenstocks verschwand, dafür wurde es durch Hupen, Schreie, Baustellenlärm und stetes hektisches Treiben ersetzt, und Adam fühlte sich sofort wohl. Er schloss die Augen und genoss den Augenblick seiner Rückkehr, als ihn Rufe und wildes Hupen aufschreckten. Eine Limousine hielt am Seitenstreifen und hatte eine Tür geöffnet, wo sein Freund Mason ihn grinsend erwartete. Aus dem Fenster weiter vorne ragten die Köpfe von Lee und Knox. „He, Mister!“, rief Lee. „Kenne ich Sie etwa? Sind Sie auf Geschäftsreise?“
„Keinesfalls! Ich dachte, ich besuche alte Freunde!“, erwiderte er und kam grinsend näher.
„Whoop, whoop! Adam Hadley is back!“, brüllte Knox so laut, dass die Leute sich nach ihnen umsahen.
„Hey, Mann, du siehst grässlich aus! Habt ihr etwa keine guten Maßschneider bei euch in Great Britain?“ Adam lachte bloß, schlug in Masons Hand ein und ließ sich in eine Umarmung ziehen. Es war eine Wohltat, von Freunden in Empfang genommen zu werden und nach Hause zu kommen.
LIAN
Die Sonne ging bereits auf, als Lian mit ihrer Yoga-Matte unter dem Arm geklemmt in den Garten der riesigen Villa ihres Vaters lief. Es hatte durchaus was für sich, bei Sonnenaufgang in einer Stadt, die niemals schlief, Ruhe zu finden, die sonst den ganzen Tag verloren schien. Lian liebte alles an New York, selbst diese Rastlosigkeit und die nie enden wollenden Partys. Doch in den frühen Morgenstunden fand sie wie einst ihre Mutter Frieden und Entspannung in der Natur und im Yoga. Die Teetasse stellte sie auf dem Mäuerchen an den üblichen Platz, während Silvias Bobtail Max aufgeregt im Gebüsch die Vögel aufscheuchte. Mit geschmeidigen Bewegungen ließ Lian den Kimono, den sie übergeworfen hatte, auf den Boden gleiten und ihre Gestalt positionierte sich im Glanz der ersten Sonnenstunde. Es kamen stressige Tage auf sie zu, denn die Hochzeit ihres Vaters mit Silvia fand am kommenden Samstag statt. Dazu würde Silvias Sohn Adam aus Großbritannien anreisen, um die neue Familie kennenzulernen.
Lian war keine Idiotin, auch wenn ihre zukünftige Stiefmutter sich große Mühe gab, Adam als anständig und höflich darzustellen, so war das Getratsche der Hausmädchen um einiges abenteuerlicher. Adam Hadley gehörte einer Clique an, die sich Millionaires Club nannte. Es war eine Reihe von Freunden, die allesamt wohlhabend waren und sich nahmen, was sie wollten, einfach weil sie es konnten. Jede Frau, die etwas auf ihren Ruf gab, hielt sich besser von diesen Kerlen fern. So hatte Lian es bislang auch gehalten, doch nun war sie bald Teil seiner Familie. Die Vorstellung, als Erwachsene einen Stiefbruder zu bekommen, war seltsam, um nicht zu sagen, völlig abstrus. Das Glück ihres lieben Vaters ging jedoch vor, daher nahm sie diese Begleiterscheinung als gegeben hin. Die meiste Zeit verbrachte Adam ohnehin auf einem anderen Kontinent. Es würde also nur wenig Berührungspunkte geben.
Das Knurren von Max im Gebüsch erregte ihre Aufmerksamkeit, sodass sie in ihrem Bewegungsablauf innehielt. Er kläffte plötzlich und Lian trat mit in die Hüften gestemmten Händen auf den bellenden Hund zu. Sie sah das schmiedeeiserne Tor, das zu dem Stellplatz der Autos führte, und riss geschockt die Augen auf. Dahinter lag ein Mann mit einer Skimaske über dem Kopf, der einen Anzug trug und dessen Hände hinter seinem Rücken mit Klebeband zusammengebunden waren. Ein panischer Schrei entwich ihrer Kehle und vor Schreck unfähig sich zu bewegen, starrte Lian ihn regungslos an. Sie öffnete das Tor und der Fremde sprang auf seine Füße, was einen athletischen Körper vermuten ließ. Ein Grölen erklang von der anderen Seite der Mauer, wo sie ein Auto wegfahren hörte. „Herzlich willkommen zu Hause, Adam!“
Lian wich perplex ein paar Schritte zurück, bis sie in ihrem Rücken einen Strauch spürte und beobachtete wie er herumzappelte. Hilflos stolperte der Fremde und fiel wie ein Sack Kartoffeln einfach um, wo er regungslos liegen blieb. Vorsichtig streckte Lian den Fuß aus und berührte seinen Körper, der schlaff auf der Erde lag. Der Fremde gab lediglich ein Brummen von sich.
„Wer sind Sie?“, fragte sie und griff zögernd nach dem unteren Ende der Skimaske. Sie zog die Maske hoch und entblößte ein Gesicht, das ihr seltsam vertraut war. Der Klebestreifen über dem Mund des Mannes erklärte, weshalb er bisher noch kein Wort gesagt und bloß undefinierbare Laute von sich gegeben hatte. „Was soll der Mist?“, rief sie entnervt und seine braunen Augen richteten sich auf sie. Hilfreich deutete er mit einer Kopfbewegung auf den gefalteten Zettel in seiner Westentasche. Sie zog ihn heraus und las laut: „Auf ein Päckchen aus GB lässt es sich manchmal viel zu lange warten. Grüße vom Millionaires Club.“ Augenrollend fasste sie nach einer Ecke des Klebestreifens, sah, wie seine Augen sich vor Panik weiteten, und riss ungerührt daran.
Diesmal erklang ein weiterer Schmerzenslaut, so laut, dass sicher gleich das Sicherheitspersonal, Silvia und ihr Vater herausgerannt kamen. „Willst du mich umbringen, Schätzchen?“, ertönte seine Stimme mit einem unverkennbaren britischen Akzent.
„Und Sie? Wollen Sie, dass ich einen Herzinfarkt bekomme?“, schrie sie darauf los.
„In deinem zarten Alter doch wohl nicht, Süße.“ Dem Akzent nach zu urteilen, dem Äußeren, das sie von Fotos bereits kannte, und der Verbindung zum Millionaires Club, konnte das nur eins bedeuten: Adam Hadley war zurück. Auf einem Foto hatte er zwar einen Hut und eine Lederhose getragen, während er einen Maßkrug in der Hand hielt und mit Silvia um die Wette lächelte, aber auch ohne diese Verkleidung war er deutlich wiederzuerkennen.
Er richtete sich auf und schwankte einige Male nach rechts und nach links, als drohe er wieder wie ein Kegel umzukippen. Er lächelte sie hinreißend an. „Schade, zu meiner Zeit hat meine Mum nie so heiße Hausmädchen wie dich eingestellt.“ Mit den dunklen, kinnlangen Haaren, der gebräunten Haut und den schokobraunen Augen konnte er die spanischen Wurzeln seiner Mutter nicht leugnen und in Kombination mit seiner lässigen Eleganz, die er trotz der wilden Partynacht nicht verloren hatte, fühlte sich Lian sofort zu ihm hingezogen, was sie vehement abstreiten würde, sollte sie jemand danach fragen.
Stattdessen stemmte sie die Hände in die Hüften und funkelte ihn zornig an. „Hausmädchen?“, echote sie ungläubig. „Kein Wunder – sie wollte sicher nicht wegen sexueller Belästigung verklagt werden, wenn Sie jede Frau so anglotzen.“
„Nur die besonderen, die mit Feuer im Arsch, Schätzchen.“ Unschuldig zuckte er mit den Schultern. „Hey, ich bin kein Mönch, oder?“
„Soll mich das jetzt beeindrucken?“
Er schüttelte fassungslos den Kopf, als plötzlich einer der Sicherheitsleute von hinten angerannt kam, ihn grob am Arm packte und sein Gesicht auf den Rasen drückte. „Hey“, protestierte er. „Was soll das, du Eierfrucht?“, empörte er sich und Lian genoss die Genugtuung, die seine Position mit sich brachte.
„Hat er Ihnen was getan, Miss Webber?“
„Miss Webber?“, echote Adam mit gedämpfter Stimme, die sich gleich darauf an den Mann über ihm wandte. „Nicht so fest, oder hattest du heute noch kein Frühstück? Vielleicht isst du besser gleich ein Snickers.“
Lian lächelte zuckersüß und verschränkte die schmalen Arme vor der Brust. „Mhm, bevor du vorschnell urteilst, solltest du dich besser informieren, Adam Hadley.“
„Sind Sie wirklich in Ordnung, Miss?“
„Danke, Alexander, mir geht es gut. Ich wurde nur überrascht von diesem Rüpel.“ Ihr Zorn über seine herablassende Art war noch nicht verraucht.
Adam machte ein missmutiges Gesicht. „Der Einzige, der hier verletzt wurde, bin ich.“
„Wer sich unbefugt Zutritt zu meinem Anwesen verschafft, kann mit nichts anderem rechnen“, erklang die Stimme ihres Vaters und der schrille Ausruf von Silvia folgte auf dem Fuße.
„Adam!“ Sie rannte auf ihn zu und schubste den Sicherheitsbeamten mit einer lächerlich sanften Bewegung fort, sodass er sofort von dem vermeintlichen Eindringling abließ. „Er ist mein Sohn!“ Adam richtete sich nun langsam auf und versank sogleich in eine Umarmung seiner Mutter. „Adam, was tust du nur wieder? Versetzt uns allen einen solchen Schrecken und gerade die arme Lian hast du offenbar ganz schön erwischt.“
„Ich versichere dir, Mutter, sie hat eher mich drangekriegt.“ Adam warf ihr einen Blick zu, der ihr durch Mark und Bein ging, aber den sie keinesfalls deuten konnte.
„Das sollte dir vermutlich zu denken geben. Vielleicht bittest du sie um Nachhilfe?“ Silvia lächelte glücklich und legte einen Arm um Lian. „Dieses Mädchen gehört zur Familie, junger Mann. Sie ist deine zukünftige Stiefschwester.“
Mit großen Augen blickte Adam zuerst Lian an, dann seine Mutter und schließlich den brummigen Mann neben ihr. „Meine … Stiefschwester? Heilige Scheiße! So weit habe ich noch nicht gedacht“, entfuhr es ihm.
„Und wieso?“ Natürlich kannte sie den Grund. Sie war hawaiianischer Abstammung und ihr Vater so amerikanisch, wie man nur sein konnte. Dennoch ärgerte es sie jedes Mal aufs Neue. Sie hatte die Mandelaugen ihrer Mutter geerbt, ebenso wie ihre überaus grazile und wohlgeformte Gestalt, für die sie kein straffes Sportprogramm aufrechterhalten musste.
„Die Familienähnlichkeit ist nicht gerade frappierend, oder?“ Er schnitt eine Grimasse, die herablassend und völlig unbeeindruckt schien. „Und was meinen Auftritt angeht …“ Er räusperte sich. „Knox, Mason, Lee und die Jungs haben sich einen dummen Scherz zu meiner Rückkehr erlaubt.“
„Bei solchen Freunden braucht man keine Feinde mehr, was?“, merkte ihr Vater an und strich über seine Halbglatze.
Schließlich tastete Adam seine Taschen ab, griff in seine Westentasche und holte allerlei Sachen heraus, von denen eins verwunderlicher als das andere war. Das Seltsamste war wohl der Federkiel, den er in der Hand hielt. „Ach, Mutter – das ist von Dad! Soll ich dir zur Hochzeit überreichen.“ Seine Mutter packte den Umschlag aus und ihr fiel ein Schwangerschaftstest in die Hand. Alle starrten verwundert auf den Gegenstand.
„Was will Dad dir denn damit bloß sagen?“, fragte Adam erstaunt und breit grinsend, ehe sein Lächeln erstarb und er die Augen geschockt aufriss. „Du willst mir doch nicht etwa erzählen, dass du bei eurer ersten Ehe keine Jungfrau warst, oder?“
„Sehr witzig. Wirklich unglaublich komisch, Adam Hadley.“ Sie rollte mit den Augen und steckte den beiliegenden Zettel ungeöffnet in ihre Hosentasche. „Ich fand den Humor deines Vaters immer schon gewöhnungsbedürftig.“
Er griff sich theatralisch ans Herz. „Ich bin schockiert, Mutter. Bin ich etwa nicht in eurer Hochzeitsnacht gezeugt worden? Ich dachte, ich wäre nur zu früh geboren.“
„Mit fast vier Kilo warst du sicher keine Frühgeburt“, antwortete sie. „Und glaube mir, ich erinnere mich an jedes Gramm, das du gewogen hast. Schon damals hattest du einen seltsamen Sinn für Humor.“
„Den ich wohl von meinem Vater geerbt haben muss.“ Er zuckte mit den Achseln. „Immerhin fand Dad offenbar, du solltest vor dem großen Tag ganz sicher sein.“ Trotz dieser Unverschämtheit hatte Adam ein einnehmendes Wesen. Das musste Lian ihm lassen.
Das dunkelrot angelaufene Gesicht ihres Vaters schien vom zukünftigen Stiefsohn allerdings nicht sonderlich verzückt zu sein. Er stand kurz vor einem Wutanfall und sofort machte Lian sich Sorgen um sein angegriffenes Herz. „Welche Unverschämtheit … solch eine Show … ich … entschuldige, Silvia, ich werde mich zurückziehen, bevor ich Dinge sage, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können.“
Silvia nickte verständnisvoll und berührte den Arm ihres Zukünftigen, der ihnen den Rücken zuwandte und zurück zum Haus ging.
„Wo ist eigentlich dein Gepäck?“, fragte Silvia Adam, der demonstrativ gähnte.
„Ich fürchte, ich erinnere mich nicht mehr“, gab er zu. „Vielleicht komm ich nach einer Mütze Schlaf wieder drauf. Der Jetlag schafft mich.“
„Der Jetlag?“, fragte Lian ironisch, während Silvia seufzend den Kopf schüttelte.
„Lian ist sicher so nett und zeigt dir dein Zimmer. Ach, und Adam, ich bitte dich, keine weiteren deiner Mätzchen. Ich werde schließlich bald heiraten.“ Silvia eilte ihrem Zukünftigen durch die liebevoll arrangierte Rosengasse hinterher. „Greg, Liebling, lass uns doch ein Stück Kuchen probieren, um uns endlich für eine Hochzeitstorte zu entscheiden.“ Lian lächelte über Silvias Versuch, ihren Vater milde zu stimmen. Mit Süßigkeiten schaffte man es eigentlich immer.
„Großartig“, murmelte Adam und Lian blickte ihn forschend an. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte sie, einen Blick auf sein wahres Wesen werfen zu können. Es war als quälte ihn etwas. Der Moment zerplatzte förmlich wie eine Seifenblase und Adam ruinierte den Anflug von Verständnis für ihn, indem er sagte: „Nun sag mir, wie komme ich am schnellsten in dein Bett, Schwesterherz?“