MIKA
Wie von selbst öffneten sich ihre vollen Lippen und ließen meine Zunge ein. Die Berührung unserer Zungen fachte das Feuer in meiner Hose noch mehr an. Ihr schlanker Körper drängte sich gegen meinen. Meine Hand glitt über ihren Po und drückte ihren Unterleib fest gegen meinen, damit sie die Wölbung in meinem Schritt spüren konnte. Um das Gleichgewicht zu halten, machte ich einen Schritt zurück und ein Klirren ertönte.
„Mist, wir wecken noch das ganze Haus auf“, gurrte die Schönheit in mein Ohr und unterdrückte ein Kichern. Sie öffnete eine dieser winzigen Handtaschen, von denen ich noch nie verstanden hatte, warum Frauen sie mit sich rumschleppten. Da konnten doch nicht mehr als ein Lippenstift, ein paar Dollarnoten und der Schlüsselbund hineinpassen. Andererseits: Wo hätte sie all die Dinge sonst unterbringen sollen? An dem sexy Kleid, das mehr preisgab als verdeckte, gab es keine Taschen. Einen Schlüssel hielt sie mir nun auch vor die Nase und warf mir einen vielversprechenden Blick zu.
„Komm mit rein, bevor meine langweilige Nachbarin unter mir uns noch einen Vortrag über Ruhestörung halten kann.“
„Ist sie achtzig, oder was?“
„Schön wäre es, dann könnte ich ihr einfach das Hörgerät klauen und schon hätte sie keinen Grund mehr, sich zu beschweren. Aber nein, sie ist bloß eine dieser schrulligen Leseratten, eine absolute Spaßbremse“, antwortete die Frau, deren Körper mich um den Verstand brachte, aber deren Name ich nicht mehr wusste. Keine Ahnung, ob sie ihn mir überhaupt genannt hatte. Ich war zu sehr von ihren körperlichen Reizen abgelenkt gewesen, um ihren Worten Beachtung zu schenken. Dafür war von der ersten Sekunde an klar gewesen, wohin uns diese Begegnung führen würde. Sie hatte keinen Hehl daraus gemacht, was sie von mir wollte, als ihre manikürte Hand zu meinen Eiern geglitten war.
Beinahe hätten wir es in meinem Dodge Challenger getrieben, doch ich hatte so ein Gefühl, dass es eine Vergeudung gewesen wäre, hätte ich dem Impuls nachgegeben. Dieser Körper würde so viel mehr Spaß machen, wenn man etwas mehr Platz zur Verfügung hätte als in meinem Zweisitzer.
Wir stolperten über die Schwelle ihrer Tür und ich schob selbige mit dem Fuß ins Schloss, weil sie sich mit ihrem Wahnsinnskörper gegen meinen drängte. Meine Hände waren viel zu sehr damit beschäftigt, ihre Brüste zu erkunden, um meiner Umgebung groß Beachtung zu schenken. Unsere Lippen lagen aufeinander und ihre Zunge umkreiste meine. Heilige Scheiße! Ich war mir nicht mal mehr sicher, wer wen abgeschleppt hatte. Zwar war ich es gewohnt, dass die Frauen Schlange standen, um eine Nacht in mein Bett kriechen zu können, aber dieses Tempo war enorm.
Das war nun mal einer der großen Boni, den mein Job mit sich brachte. Profi-Eishockeyspieler zu werden, war nicht nur mein Berufswunsch, seit ich sechs Jahre alt gewesen war, sondern erfüllte auch alle Bedürfnisse, die ein gesunder, sexuell aktiver Mann haben könnte. Um ehrlich zu sein, Sex war nicht nur eins meiner Bedürfnisse, es war eine Lebenseinstellung. Ich hielt nichts von Beziehungen oder festen Regeln. Ich liebte es zwanglos, unkompliziert und experimentell. Leider wusste ich ganz genau, wie schmerzhaft und kompromisslos das Leben sein konnte. Ein weiterer Grund, warum ich entschlossen war, alles, was es mir bot, auszukosten. Es hatte viel zu viele Abenteuer zu bieten, um sich an nur eine einzige Frau zu binden.
Dieser Abend war das beste Beispiel dafür. Mein Sportagent hatte mich auf eine dieser langweiligen Spendengalas meines Sponsors „Sport Innovated“ geschleift. Ken Burges, reicher Geschäftsinhaber von „Sport Innovated“, hatte mir sogar höchstpersönlich eine Einladung überbracht. Alles in mir hatte sich gesträubt hinzugehen, denn Burges war nicht nur einer dieser superreichen, arroganten Mittfünfziger, die stundenlang über ihre eigene Sportkarriere sprechen wollten, die es nie gegeben hatte, sondern auch ein generell unangenehmer Zeitgenosse. Obwohl dieser Abend nichts weiter versprochen hatte, als langatmige Reden, hatte er sich, dank einer rassigen brünetten Schönheit, ins Gegenteil gekehrt. Jede gähnend langweilige Minute von Ken Burges Ansprache, die ich über mich ergehen lassen musste, würde sich am Ende auszahlen, sobald ich meinen persönlichen Treffer versenkt hätte.
In diesem Moment wandte die Frau in meinen Armen mir den Rücken zu, schob ihre gelockte Mähne zur Seite und bedeutete mir, den Reißverschluss ihres Kleides zu öffnen. Dieser Bitte kam ich nur zu gern nach.
Sie warf mir über die Schulter hinweg einen lasziven Blick zu und schob den Fetzen Stoff, mit dem sie ihren Körper verhüllt hatte, in einer fließenden Bewegung hinunter. Nur noch in winzigen Dessous und Stilettos stand sie vor mir und stieg aus dem Stoffhaufen, der sich um ihre Füße gelegt hatte. Meine Kehle war wie ausgedörrt und das Schlucken fiel mir schwer. Ich war im Himmel! Anders konnte ich mir nicht erklären, wie sich der Traum eines jeden Kerls in diesem Moment erfüllte.
Ihr manikürter Zeigefinger bedeutete mir, ihr durch zwei geöffnete Flügeltüren ins Schlafzimmer dieses Luxusapartments zu folgen. Als ich ins Zimmer trat, räkelte sie sich bereits auf dem Bett. Ihre Haut schimmerte im Schein des Mondes, der durch die bodentiefe Balkontür fiel, und das Pulsieren meines Schwanzes nahm zu. Ich wollte sie, und zwar sofort. Mein Jackett hatte ich im Auto gelassen und die Ärmel meines enganliegenden Hemdes waren hochgerollt. Ich trat an das Bett, platzierte mich zwischen ihre Beine und begann, die Knöpfe an meinem Hemd zu öffnen. Sie setzte sich aufrecht hin, ergriff den Stoff und riss ihn ungeduldig auseinander, sodass die Knöpfe absprangen.
Verblüfft beobachtete ich, wie ihre Hände über meine festen Bauchmuskeln glitten und sie sich vorbeugte, um mit ihrer Zunge meinen Nabel zu … heilige Scheiße. Ihre Hände glitten hinab, öffneten meinen Gürtel und meine Hose. Ohne Hemmungen legte sie meinen Schwanz frei und der Anblick, wie er in ihrer Hand lag, hätte mich ohne Zweifel vor ein paar Jahren dazu gebracht, sofort zu kommen. Mittlerweile war ich geübter und hatte Techniken entwickelt, die mir solch eine Peinlichkeit ersparten. Worauf ich jedoch nicht vorbereitet war, war, dass sie ihn sogleich in den Mund nahm. Ihre vollen Lippen schlossen sich um meine Erektion und nahmen ihn tief in sich auf, dass ich mich nur noch mit Mühe beherrschen konnte. Ein Stöhnen entrang sich meiner Kehle und ich schloss die Augen, um diesen Moment in vollen Zügen zu genießen. Nach einer Weile unterbrach ich ihren Versuch, mich um den Verstand zu bringen, und sorgte dafür, dass sie sich auf das Bett legte.
Im normalen Leben war ich vielleicht ein Egoist, aber im Bett hatte ich einen Ruf zu verlieren. Deswegen kümmerte ich mich grundsätzlich um meine Gespielinnen. Ihr BH flog zur Seite und meine Zunge glitt über ihre Nippel. Ihr gedehntes Stöhnen verriet mir, dass meine Hand in ihrem Höschen einen ausgesprochen guten Job machte. Das feuchte und weiche Fleisch verriet mir, wie bereit sie für mich war. Ich war es allemal.
Ich löste mich von ihr, um aus meiner Hosentasche eines der Kondome herauszufischen, als ein Geräusch im Hausflur sie dazu brachte, sich aufrecht hinzusetzen.
Das teuflische Lächeln, das sich auf ihre Züge schlich, machte mich skeptisch. „Was ist los?“
„Ken kommt.“
„Wer?“
„Der Mann, dem diese Wohnung gehört, und der einzige, der mich eigentlich hier besuchen darf.“
Womöglich lag es daran, dass ein Großteil meines Blutes in tiefere Regionen hinabgesunken und mein Hirn unterversorgt war, aber ich brauchte ein paar Sekunden, ehe ich begriff.
„Du bist die Geliebte von Ken? Aber doch nicht von Ken Burges, oder?“, fragte ich leicht begriffsstutzig.
Sie biss sich verlegen auf die Unterlippe, als ein Geräusch direkt vor der Haustür unsere Aufmerksamkeit erregte. Verfluchte Scheiße! Das war mein Untergang.
„Das ist nicht dein Ernst!? Er ist mein Hauptsponsor“, rief ich entsetzt und begann hastig, meine Klamotten zusammenzusuchen.
„Ich weiß. Ich dachte, das würde ihn am meisten aufscheuchen.“
„Aufscheuchen? Das war geplant?“, zählte ich eins und eins zusammen. „Du … du wolltest mit mir ins Bett gehen, um was …? Ihn eifersüchtig zu machen? Du hast mich benutzt?“ Ungeduldig zerrte ich die Shorts über meine Beine.
„Tu doch nicht so. Als wärst du nicht auf deine Kosten gekommen.“
Fassungslos starrte ich sie an. Sie war verrückt. Eine irre Schönheit, und der Untergang eines jeden Mannes. „Du bist dabei, meine Karriere zu zerstören. Ist dir das eigentlich klar?“
Achtlos zuckte sie mit ihren Achseln. „Jetzt spiel nicht das Opfer. Wie oft hast du schon eine von uns Frauen benutzt?“
Den Bruchteil einer Sekunde starrte ich sie an. „Wie komm ich jetzt hier raus?“
Ein gemeines Lächeln umspielte ihre vollen Lippen. Oh, sie war ohne Frage eine Ausgeburt der Hölle, und ich wurde bestraft für all meine Vergehen. „Gar nicht. Es gibt nur diesen Ausgang. Es sei denn, du willst aus dem Fenster springen.“
„Darling?“, ertönte die unverkennbare, aalglatte Stimme von Ken Burges. Mir brach der Schweiß aus. Ohne eine weitere Sekunde zu zögern, stürzte ich zur Tür, die hinaus auf den Balkon führte. Wenn es sein musste, würde ich mir dort draußen eben die Eier abfrieren oder vom Balkon in den ersten Stock springen. Was sollte mir schon passieren? Ich brach mir höchstens den Arm, was mich zweifellos einige Spiele kosten würde. Gerade jetzt, wo wir so knapp davorstanden, eine Wildcard zu ergattern und doch noch in den Playoffs mitzuspielen. Wenigstens würde ich meine Zukunft als Profi-Sportler nicht gänzlich in den Sand setzen.
Jay hatte es mir prophezeit. Eines Tages würde ich wegen meiner Bettgeschichten noch in Teufels Küche kommen. In des Teufels Küche wohl eher nicht, aber in Ken Burges vielleicht. Er würde nicht zögern, mich zu filetieren – so viel stand fest.
Ich öffnete die Tür und die frische Aprilluft schlug mir entgegen. Kaum zu glauben, ich floh wie Casanova über eine Brüstung. Nur in Shorts und mit meinen restlichen Kleidungsstücken unter dem Arm trat ich an die Brüstung und warf einen Blick hinunter. Ich war es gewohnt, mich auf dem Eis dem Risiko einer Verletzung auszuliefern, allerdings trug ich dann besondere Schutzkleidung, die mir im Augenblick leider fehlte.
Ich schluckte gegen die Besorgnis an und schwang ein Bein über das Metallgestell. Ein kurzer Blick zurück zeigte mir, dass jemand im Wohnzimmer Licht gemacht hatte. Hastig schwang ich auch das andere Bein drüber und hangelte mich ein Stück zur Seite, um im besten Fall mit meinen Füßen auf dem unteren Balkon zu landen, statt auf den harten Terrassensteinen im Erdgeschoss. Ich warf die Kleidungsstücke hinunter auf den Balkon und hangelte mich an der Brüstung hinab, damit der Fall nicht so tief wäre. Dann ließ ich los.
* * *
JOSIE
Im Fernsehen legte Christian Grey seiner Ana gerade die Welt zu Füßen, während ich die Ruhe und die Entspannung in meinen vier Wänden genoss. Der eine Teil von mir war höchst zufrieden damit, in meinem ausgeleierten Lieblingspyjama mit den vielen kleinen roten Kirschen drauf, den Hello Kitty Pantoffeln und einer riesigen Packung Eis auf dem Sofa mein dienstfreies Wochenende zu genießen. Der andere Teil sehnte sich durchaus nach einem Mann, der mein Leben aufregender machte, auch wenn ich die Nase voll davon hatte, nach tollen Typen zu suchen.
Nachdem die Affäre meines Freundes aufgeflogen war, für den ich überhaupt erst vor wenigen Monaten nach Chicago gezogen war, war meine Welt in sich zusammengefallen. Wir hatten uns auf dem College kennengelernt. Er war süß gewesen und noch ziemlich unerfahren im Vergleich zu anderen Jungen. Seine Unsicherheit hatte mich sofort für ihn eingenommen.
Er war ein Jahr eher von der Uni abgegangen und hatte als Investmentbanker einen Job in Chicago angenommen. In dieser Zeit hatten wir eine Fernbeziehung geführt und uns nur alle paar Wochen gegenseitig besucht. Und nach dem Jahr war es mir ganz natürlich erschienen, dass ich zu ihm in die Großstadt zog.
Es war immer leicht mit ihm gewesen. Es gab keinen Streit, keine Dramen und keine großen Eifersüchteleien. Wahrscheinlich hatte es mich deswegen derart kalt erwischt, als die Affäre mit seiner Kollegin aufgeflogen war. Ich hatte es schlicht nicht kommen sehen und hatte dagesessen mit meinen teilweise noch gepackten Koffern, einem Job, den ich gerade erst begonnen hatte, und einem gebrochenen Herzen. Am Ende verlief unsere Trennung genauso komplikationslos wie unsere Beziehung. Er war innerhalb weniger Tage kommentarlos ausgezogen und ließ mich in einer Wohnung zurück, die ich mir schlicht nicht leisten konnte.
Zur Aufmunterung hatte meine neue Freundin Greta mich in das Chicagoer Nachtleben entführt, doch ich zog jedes Mal nur Loser an. Statt mich also weiter auf die Suche zu begeben, schmachtete ich nun Jamie Dornan im Fernsehen an.
Wieso führte ich nicht auch so ein aufregendes Leben wie meine Nachbarin über mir? Weil mir ein Kilometer Beinlänge fehlte? Oder ihre heißen freizügigen Klamotten? Oder der extrem reiche Liebhaber, der, wie man sich im Haus hinter vorgehaltener Hand erzählte, ihr die Wohnung bezahlte? Nein! Ich besaß genügend Stolz, um mir meinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen, außerdem passten diese Klamotten überhaupt nicht zu mir. Aber eigentlich war das alles unwichtig. Viel wichtiger war, dass ich mir die Frage stellen musste, ob ich diese Wohnung nun aufgab oder mir langfristig eine Mitbewohnerin suchte, um sie weiterhin bezahlen zu können. Denn meine Ersparnisse waren mittlerweile aufgebraucht, trotz der vielen zusätzlichen Schichten im Krankenhaus.
Aber selbst mit all den Sorgen wünschte ich mir ein kleines bisschen mehr Aufregung in meinem bescheidenen Leben. Mir würde schon reichen, einen süßen Kerl zu daten, der nicht der Bedienung mit Körbchengröße Doppel D hinterherstarrte und ihr seine Visitenkarte zusteckte, wenn er dachte, ich sehe nicht hin. Es gab so viele idiotische Typen, denen nur wichtig war, eine Frau wie Miss Wonderbra im Apartment über mir flachzulegen. Solche Kerle konnten mir gestohlen bleiben.
Das Telefon klingelte und ich überlegte, wer es sein konnte. Wer rief um diese Zeit an? Wahrscheinlich meine Mom, denn alle meine Freundinnen waren unterwegs, wie es für Frauen Anfang zwanzig üblich war. Lohnte es sich, für ein Gespräch mit meiner Mom, die bequeme Position aufzugeben? Damit sie mir sagen konnte, wie sehr ich ihr fehlte und wann ich endlich wieder zurück nach Minnesota ziehen würde, weil sie Angst um mich – eine alleinstehende Frau – hatte? Immerhin war ich das perfekte Opfer für jeden Serienkiller: alleinstehend, bemitleidenswert und ohne jeden Beschützer. Und das auch noch in einer Großstadt wie Chicago – die kriminellste Metropole der USA, wie sie nicht müde wurde, zu betonen.
Meine Mutter war seit meiner Geburt alleinerziehend gewesen. Das hatte sie zweifellos tougher gemacht, änderte jedoch nichts daran, dass sie an mir, ihrem einzigen Kind, besonders hing und sie mich deswegen am liebsten ganz nah bei sich behalten wollte, damit sie sich weniger sorgen musste. Allerdings musste ich zugeben, dass es durchaus seinen Reiz hatte, wieder zurück in das Provinznest zu ziehen. Abgesehen von meiner Freundin und Kollegin Greta würde es wohl niemandem auffallen, wenn ich tatsächlich einem Serienkiller a lá Criminal Minds zum Opfer fiele. Und Gretas Leben war im Gegensatz zu meinen so aufregend, dass sie mich wahrscheinlich schnell vergessen hätte. Es klingelte und klingelte weiter und dann hörte ich ein Krachen im Hausflur, das mich zusammenfahren ließ. Hastig stand ich auf, doch in dem Augenblick hörte das Telefon auf zu klingeln. Na toll! Jetzt würde meine Mom zweifellos die Polizei rufen, wenn ich nicht zurückrief. Es klingelte erneut und diesmal ging ich dran.
„Hallo?“
„Natürlich ist sie zu Hause“, ertönte die tadelnde Stimme meiner Freundin Greta.
Ich stöhnte. Ich hätte nicht drangehen sollen. „Ich bin gerade erst nach Hause gekommen“, log ich. Prompt meldete sich mein schlechtes Gewissen und ich biss mir auf die Unterlippe. Ich war die schlechteste Lügnerin ganz Chicagos … ach was, der Vereinigten Staaten.
„Wem willst du was vormachen? Du wärst niemals um diese Zeit zurück, wenn du es richtig hättest krachen lassen, Josie!“
Ich rollte mit den Augen. „Nicht jeder ist wie du und feiert die Nächte durch bis morgens um sechs. Manche Menschen wollen am Sonntag nicht in Essig liegen, weil sie einen Kater von der Größe eines Panthers haben.“
„Wofür sind Sonntage denn sonst da?“
„Für … Unternehmungen?“
Ein genervtes Stöhnen erklang am anderen Ende der Leitung. „Das kannst du machen, wenn deine Titten jegliche Form und Halt verloren haben. Solange sie so fest geformt sind wie zwei Pfirsiche, ziehst du bitte los und bringst die Kerle um den Verstand, hörst du?“
„Nur leider interessieren sich die Kerle nicht für Pfirsiche, wenn sie Melonen haben können“, brummte ich.
„Das Problem ist, dass du die Kerle falsch betrachtest. Du suchst nach Mr. Perfect, der dich vom Fleck weg heiraten und dir einen Stall voll Kinder machen will. Was du aber brauchst, ist ein Typ, der es dir richtig besorgt, damit du locker wirst und dich mehr entspannen kannst.“
Ich ergriff die Packung Eis, kratzte mit dem Löffel darin rum und schob ihn mir in den Mund. Verdammt, es schmeckte immer noch so gut wie am Anfang. „Ich bin nicht der Typ für zwanglosen Sex.“
„Hast du es je richtig versucht?“
„Natürlich! Erinnerst du dich nicht an Clark, der Typ aus dem Bistro? Ich hatte alles so schön geplant …“
„Da kommen wir zum eigentlichen Problem, Miss Kontrollfreak. Zwanglos und planen vertragen sich nicht sonderlich gut.“ Greta lachte und ich steckte mit Wucht den Löffel in den Eisbecher, der auf dem Tisch vor mir stand.
„Was ist falsch daran, nicht mit einem Winterfell rumlaufen zu wollen?“
„Das ist aber doch nicht alles, oder? Du hattest einen Tisch in einem Restaurant reserviert, in das Pärchen gehen, zu Hause die richtige CD in die Anlage eingelegt, das Bett frisch bezogen und das Bad geputzt, oder?“
Woher wusste sie das alles so genau? „Vielleicht …“, räumte ich ein.
„Die meisten Kerle fühlen sich von so etwas unter Druck gesetzt.“
„Warum?“
„Weil sie in Wahrheit das schwächere Geschlecht sind. Das sag ich ja immer wieder. Wir Frauen kommen mit einer Menge Druck klar. Wir tragen BHs, Corsagen, Stringtangas, Stilettos, lassen uns enthaaren, bekommen Kinder … du kannst die Liste beliebig fortsetzen.“
Ich lachte. Ich liebte Gretas Humor einfach.
„Also, was hältst du davon, wenn du dich jetzt in Schale wirfst und ins Smittys kommst? Hier gibt’s eine Menge süßer Typen. Ein paar davon könnten dir auch gefallen.“
Ich schloss gequält die Augen. Das Letzte, was ich gerade wollte, waren Gretas Verkupplungsversuche. „Ich habe meinen Bedarf für heute gedeckt.“
„Hast du wieder Shades of Grey geguckt? Jetzt hattest du einmal Pech …“
„Einmal? Ich kann dir eine ganze Liste von Versagern aufzählen, die ich gedatet habe, seit Leo mich verlassen hat.“
„Na gut, dann war es eine Pechsträhne, aber die kann nur vorübergehen, wenn du dich nicht in deinem Schlafanzug und einer Wagenladung Eis mit Shades of Grey in der Flimmerkiste in deiner Wohnung versteckst.“
Verdutzt sah ich an mir hinunter. Woher wusste sie das nun wieder?
„Was ich damit sagen will, Süße, du kannst nicht vom Universum erwarten, dass es an deine Tür klopft und dir einen tollen Kerl vorstellt. Wenn du Abenteuer in deinem Leben willst, dann musst du hinausgehen und sie suchen.“ Es wurde laut im Hintergrund von Gretas Stimme. Wahrscheinlich war gerade die Tür zur Toilette der Bar geöffnet worden. Ich seufzte, weil sie recht hatte. Das änderte jedoch nichts daran, dass es gar nicht so leicht war, diese Enttäuschungen als das zu betrachten, was sie waren: Erfahrungen, die ich irgendwann vielleicht meinen Enkelkindern erzählen würde.
Hinter mir ertönte ein gedämpfter Schrei, gefolgt von einem Krachen, und ich wirbelte zur Balkontür herum. Was zur Hölle war das?
„Josie?“, fragte Greta alarmiert.
Ich ignorierte sie und sah vorsichtig durch meine Fenster hinaus, von wo der Krach gekommen war. Es war nichts zu sehen. Langsam schlich ich näher heran, als sich plötzlich eine Gestalt gegen meine Balkontür drückte. Es war ein Mann.
Ich schrie.
Er schrie.
Mir rutschte das Telefon aus der Hand und landete krachend vor meinen Füßen. Reflexartig packte ich das einzig Handfeste in meiner Nähe. Einen messingfarbenen Kerzenhalter, den ich von meiner Mutter zum Umzug geschenkt bekommen hatte. Wer hätte gedacht, dass dieses hässliche Ding sich noch als nützlich erweisen würde?
Aus dem Hörer meines Telefons war Gretas panische Stimme zu hören: „Josie? Was zur Hölle ist los bei dir?“
Ich war unfähig, meinen Blick von der Person abzuwenden, die sich gegen meine Scheibe drückte. Er war bestimmt ein Meter neunzig groß, hatte breite Schultern und konnte ohne Probleme ein Leichtgewicht wie mich überwältigen, um wer weiß was mit mir anzustellen. Und er war nackt.
„Josephine, rede mit mir oder ich schick die gesamte Chicagoer Polizei zu dir“, warnte mich Gretas hohe Stimme, die durch den Mini-Lautsprecher meines Telefons ertönte.
Ich hob das Telefon auf und wisperte: „Da ist ein Mann auf meinen Balkon gefallen.“
„Einer mit Maske und einem Messer?“, flüsterte Greta mit angespannter Stimme zurück, als wäre das das einzig Beunruhigende, was ihr dazu einfiel. Als fielen Männer täglich vom Himmel und landeten auf irgendwelchen Balkons.
„Nein … ich glaube selbst kaum, was ich da sage, aber … er ist so gut wie nackt.“
„Nackt?“, echote sie ungläubig, während ich den Typen weiter anstarrte. Er winkte mir zu und grinste. Ob er wirklich gefährlich war?
„Er trägt Shorts“, korrigierte ich mich.
„Sieht er gut aus?“, fragte Greta.
„Greta!“
„Was denn?“
„Ich lege jetzt auf.“
„Was? Jetzt, wo es endlich mal spannend in deinem Leben wird …“
„Vielen Dank für deine Sorge. Er könnte mich immer noch überfallen.“
„Wenn er gut aussieht, wäre es doch irgendwie aufregend.“
„Wir hören uns morgen, Greta. Es sei denn, ich werde kaltblütig ermordet, dann erfährst du es aus der Zeitung.“
„Wo sollte er denn seine Waffe verstecken, wenn er fast nackt ist?“
Ohne darauf zu antworten, legte ich auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Das war irgendwie ein Argument. Der Typ klopfte gegen die Scheibe. Passierte das hier gerade wirklich? Ich überlegte einige Sekunden und der Ausdruck auf seinem Gesicht nahm einen flehenden Zug an. Ich stöhnte genervt auf, hob drohend den Kerzenständer über den Kopf und öffnete die Balkontür.
„Was zur Hölle …?“, legte ich los, als er meine Schultern ergriff und mich mit dem freien Arm überstürzt an sich zog.
„Vielen, vielen Dank. Du bist meine Lebensretterin.“
„Ich bin … was?“ Verdutzt sah ich ihm nach, wie er in mein Wohnzimmer trat und an sich hinunterblickte. In aller Ruhe betrachtete er seine Gliedmaßen. „Nix gebrochen.“
„Was? Hey …“, rief ich aufgebracht.
Endlich wandte er sich zu mir um und mir verschlug es den Atem. Zu sagen, er sei gut gebaut, wäre einer Untertreibung gleichgekommen. Er war groß, überragte mich locker um einen Kopf, und das, obwohl ich selbst nicht besonders klein war. Seine Schultern waren breit und seine Brust auf angenehme Art durchtrainiert. Auch wenn er Shorts trug, präsentierten sie seine gut ausgestattete Männlichkeit. Ich schluckte, dann blickte ich in sein Gesicht. Es war kantig, aber sein Mund verzog sich zu einem wissenden Lächeln. Es blitzte in seinen grünen Augen. „Gefällt dir, was du siehst? Ich sollte eine Gebühr fürs Angucken verlangen. Anfassen kostet aber extra.“
Ich verdrehte die Augen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Was zur Hölle ist hier los? Ist hier irgendwo eine Kamera versteckt?“
Verständnislos starrte er mich an. „Das hoffe ich nicht. So eine Presse wäre nicht gut für mein ohnehin angekratztes Ego.“
„In Ordnung, das geht zu weit. Ich rufe die Cops.“
„Ah, verstehe. Du musst die langweilige Nachbarin sein“, sagte er und sofort schnappte ich empört nach Luft.
„Wie bitte?“
„Deine Nachbarin oben hat dich in der Kürze unserer Begegnung erwähnt und jetzt verstehe ich, was sie meinte.“ Sein Blick glitt über mein Gesicht, das frei von jeglichem Make-up war, den geflochtenen Zopf, meine Brille, über meinen Lieblingsschlafanzug, bis zu meinen Füßen, die in den Hello Kitty Hausschuhen steckten. „Wow!“, sagte er ironisch und ich spürte, wie meine Wangen glühten. „Wenn das dein Outfit für den Freitagabend ist, dann will ich gar nicht wissen, wie du aussiehst, wenn du dich nicht herausputzt.“
Bevor ich mich davon abhalten konnte, stieß ich mit meiner Faust gegen seine nackte Brust. „Wenigstens bin ich nicht nackt über den Balkon gefallen.“
„Es gibt nichts, wofür ich mich schämen müsste“, entfuhr es ihm immer noch grinsend. Zufrieden sah er an sich herab.
Ich kniff die Augen zusammen und zeigte mit Daumen und Zeigefinger einen minimalen Abstand an. „Echt nicht? Scheint ziemlich kalt da draußen zu sein, oder ist das von Natur aus so?“ Innerlich feierte ich mich für diesen Schlagabtausch. Meistens fiel mir erst später ein, was ich hätte sagen können.
Er sah an sich hinab und hielt sogleich das Bündel Kleider vor seine Shorts, das vorher unter seinem Arm geklemmt war. Ein Funken Unsicherheit flackerte in seinem Blick auf.
„Oder hast du deine Eier bloß bei Candice vergessen? Sie hat diese Wirkung auf Männer.“
„Candice heißt sie also …“
„Warum rede ich überhaupt mit dir?“ Ich stöhnte und rollte mit den Augen. War ich denn nicht mal in meiner Wohnung vor solchen Idioten sicher? Jetzt ging ich schon nicht aus, um mir diesen Scheiß nicht länger antun zu müssen, und dann fiel einer von Candice’ Betthasen auf meinen Balkon.
„Verschwinde einfach, oder ich ruf die Polizei“, rief ich ungeduldig. Ich hastete an ihm vorbei auf die Tür zu.
„Warte …“, hörte ich ihn zögerlich rufen.
„Worauf? Dass Hirn vom Himmel fällt und Kerle wie dich läutert, damit du dir mehr wert bist als das?“ Ich deutete auf ihn und er sah an sich herunter.
„Was ist falsch daran?“, hakte er nach.
„Schon gut, lass dich nur weiter von Weibern wie Candice abschleppen.“
„Nein, nein, so ist das nicht.“
„Natürlich nicht.“ Ich rollte mit den Augen.
„Ich habe sie abgeschleppt.“
„Tatsächlich?“, fragte ich mit hochgezogenen Brauen. „Und warum bist dann du derjenige, der auf meinem Balkon gelandet ist?“
„Weil …“, setzte er an und brach ab. Zu meinem Ärger ließ er sich auf mein Sofa nieder. „Scheiße! Sie hat mich tatsächlich benutzt.“
„Auch schon bemerkt?“
„Nicht so wie du meinst. Ich habe nichts gegen zwanglosen Sex. Ich praktiziere ihn wie eine Religion.“
Aus irgendeinem Grund brachte mich diese Information in Verlegenheit.
„Aber sie hat mich nur ausgewählt, weil ich Burges am meisten ärgern würde. Ich wurde benutzt.“
„Wer ist Burges?“
„Mein Sponsor.“
„Hast du ein Alkoholproblem?“ Sofort flammte gegen meinen Willen Mitgefühl in mir auf.
„Nein, nicht die Art Sponsor. Er sponsert mich, meine Karriere.“
„Aha.“ Mich beschlich das Gefühl, dass wir nicht die gleiche Sprache redeten. Ich wurde nicht schlau aus seinen Worten.
Wie aufs Stichwort erklangen laute Stimmen aus der Wohnung über uns und wir starrten uns eine Sekunde an.
„Hast du was dagegen, wenn ich mich kurz anziehe?“
Mit einer wedelnden Handbewegung stimmte ich zu, legte das Telefon und den Kerzenständer auf die Küchentheke, die mein Wohnzimmer von der Küche trennte. „Da vorn ist das Bad.“
Sobald er verschwunden war, hastete ich zur Couch, nahm den Becher Eis an mich und brachte ihn zurück ins Eisfach. Auf dem Weg dorthin kam ich am Spiegel vorbei und wischte mir die zwei weißen Stellen von der Anti-Pickel-Creme aus dem Gesicht. Ich hätte mich ohrfeigen können. „Langweilige Nachbarin …“, wiederholte ich seine Worte und betrachtete mich in dem Spiegel.
Verdammt! Er hatte recht. Ich sah aus wie eine Bibliothekarin im Schlabberlook. Warum interessierte es mich überhaupt, was dieser Typ über mich dachte? Er war genau der Typ Kerl, dem ich aus dem Weg gehen wollte. Also konnte es mir … nein, es musste mir vollkommen egal sein. So!
Dennoch stellte ich das Stöhnen, das aus den Lautsprechern an meinem Fernseher kam, auf stumm und wartete ungeduldig, bis er wieder aus dem Badezimmer kam. Als sich die Tür endlich öffnete, verschlug mir sein Anblick prompt die Sprache. Er trug eine Anzughose, ein Hemd, das allerdings offenstand, und Slipper. Zu meinem Leidwesen sah er ganz und gar nicht wie ein Loser aus. Seine blonden halblangen Haare hatte er zurückgestrichen und sein Lächeln war eins von der Sorte, das einem die Knie weich werden ließ.
„Ich glaube, wir sollten noch mal von vorne anfangen. Ich heiße Mika und du?“
„Langweilige Nachbarin?“, fragte ich provozierend und musste eingestehen, dass mich diese Bezeichnung verletzt hatte. Egal, wie wahr es war.
Betreten steckte er die Hände in die Taschen. „Ich bin wohl kaum in der Position, über dich zu urteilen. Immerhin bin ich über den Balkon geflohen, um dem Geliebten meiner Eroberung zu entgehen.“
Ich seufzte. Das war reumütig genug, um mich zu überzeugen, dass er nicht nur ein arroganter Arsch war. „Josie.“
Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht und wir verstummten. Der Streit in der Etage über uns war in vollem Gange. „Der Lärm tut mir leid.“
Ich zuckte mit den Achseln. „Das bin ich gewohnt.“
„Ist das öfter so?“, erkundigte er sich.
„Ja, schon …“
„Ich glaube, ich gehe dann besser.“
„Gute Idee.“ Ich ging zur Tür und öffnete sie gerade, als über uns eine Tür mit einem lauten Knall ins Schloss fiel. Hastig schloss Mika den Spalt wieder und legte flehend einen Finger vor seine Lippen.
Es klopfte.
„Er wird mich umbringen oder sogar meine Karriere beenden“, flüsterte Mika und schloss gequält die Augen. Er lehnte den Kopf gegen die Wand.
„Im Ernst? In diesem Augenblick hat deine Karriere die oberste Priorität?“, wisperte ich mit ungläubigem Gesichtsausdruck.
Wir gestikulierten wild voreinander hin und her – er, um mich davon abzuhalten, die Tür zu öffnen, ich, um ihm klarzumachen, dass er mich von nichts abhalten konnte - als es wieder klopfte.
„Miss Danburry?“, rief eine männliche Stimme und ich zögerte. Ich blickte in Mikas mitleiderregendes Gesicht. Er schien entschlossen, es mit dem Mann vor der Tür aufzunehmen. Mitleid erfüllte mich und ich holte tief Luft. Dann bedeutete ich ihm, das Hemd auszuziehen und mir zu geben. Ich zog es über und die Brille aus. Schnell schlüpfte ich aus meiner übergroßen Schlafanzughose und zog die Hello Kitty Puschen aus. Ich schob Mika in die Küche, sodass er nicht zu sehen war, und rief: „Moment bitte!“
Verdattert starrte Mika mich an, als ich die Tür einen Spalt öffnete und das Hemd in der Mitte zusammenhielt. „Ja?“, fragte ich betont genervt.
„Ähm … Miss Danburry … ich … wollte nur sichergehen, dass alles in Ordnung ist?“
„Das ist ja ganz was Neues“, brummte ich.
„Vielleicht kommt Ihnen die Frage etwas seltsam vor, aber sind Sie allein?“ Der Mann vor mir war wesentlich älter und adrett gekleidet, spähte aber in meine Wohnung hinein.
„Denken Sie wirklich, dass ich mich vor Ihnen rechtfertige? Allein die Frage finde ich ziemlich indiskret, finden Sie nicht auch?“
„Ich hatte nur den Eindruck, als sei auf Ihrem Balkon ein Tumult gewesen.“
„Auf meinem Balkon? Soll das ein Scherz sein? Oben in Ihrer Wohnung fliegen die Fetzen, nicht in meiner. Haben Sie schon mal etwas von Ruhestörung gehört?“
„Ich dachte nur … der Wagen, der vorne an der Straße parkt, gehört einem … Freund von mir. Ich …“
„Hören Sie, ich bin absolut nicht in der Stimmung, dieses seltsame Gespräch mit Ihnen fortzusetzen, sondern möchte mich weiter meinem Besuch widmen. Guten Abend!“
Damit schloss ich die Tür und lehnte mich schweratmend mit dem Rücken dagegen. Was hatte ich denn da bitte für eine Show abgezogen? Wo war das plötzlich hergekommen? Was hatte ich mir überhaupt dabei gedacht? Hatte mich die Bezeichnung Langweilerin derart aus der Ruhe gebracht? Vielleicht. Aber es fühlte sich verdammt gut an.
Ich sah Mika an und ertappte ihn dabei, wie er einen langen Blick auf meine nackten Beine warf. Dann begegnete ich seiner überraschten Miene. Mein Herz schlug mir vor Aufregung bis zum Hals. Ein breites Grinsen zeigte sich auf seinem Gesicht und brachte mich zum Lächeln. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch ich hob die Hand und lauschte an der Tür. Vorsichtig linste ich durch den Spion und sah den Mann unschlüssig im Flur stehen. Langsam bewegte er sich von der Tür weg und verschwand aus meinem Sichtfeld.
„Du hast mir sprichwörtlich das Leben gerettet“, sagte Mika anerkennend. „Ab sofort bist du der beste Freund, den ich mir nur wünschen kann.“
„Ich glaube nicht, dass er es mir zu hundert Prozent abgekauft hat“, warnte ich ihn. „Wahrscheinlich lauert er draußen auf dich.“
Auch diese Aussicht konnte Mikas breites Grinsen nicht schmälern. „Du bist echt der Hammer.“
„Ich weiß, vielen Dank.“
Unkontrolliertes Kichern drang aus meiner Kehle, wie es immer geschah, wenn ich angespannt oder nervös war. „Ich wünschte, du hättest sein Gesicht gesehen.“
„O glaub mir, das wünschte ich auch.“ Statt mich seltsam anzustarren, lachte er einfach mit und es wurde sogar so schlimm, dass wir uns den Bauch halten mussten.
Eine halbe Stunde später saßen wir auf den Stühlen am Tresen. Eine Flasche Wein stand geöffnet vor uns und ich hatte den Eisbecher, in dem jetzt zwei Löffel steckten, wieder aus dem Eisfach geholt. Ich musste mir eingestehen, dass Mika ganz und gar nicht dumm war. Wir unterhielten uns über alles Mögliche: über unsere Lieblingseissorten, den Wein und Shades of Grey.
„Tust du solche Dinge öfter?“, fragte ich nach einer Weile.
„Du meinst, schöne Frauen in ihre Wohnung begleiten?“
Ich stöhnte. „Das ist mir schon klar, aber nein, ich meinte, den Zorn gehörnter Ehemänner oder Geliebter auf dich ziehen.“
Er zuckte mit den Achseln. „Ich bleibe meist nicht lang genug, um solche Beziehungsdramen mitzubekommen.“
Ich verschluckte mich an meinem Löffel Eis. „Also hältst du es strikt getrennt?“
„Wie meinst du das?“
„Es gibt nur Sex ohne Gefühle und Beziehungen?“
Diesmal wich er meinem Blick aus. „Ich bin kein Typ für eine feste Geschichte.“
„Warum nicht?“ Ich nahm einen weiteren Löffel von dem Eis. „Ich meine, es ist das eine, nicht auf der Suche zu sein, aber bei dir klingt es so, als lehnst du Gefühle rigoros ab. Gibt es einen speziellen Grund dafür? Vielleicht eine Frau, die dir dein Herz gebrochen hat, oder so?“
Mika schwieg verdächtig und ich wollte schon das Thema wechseln, als er doch noch antwortete: „Es gibt immer eine Frau, die einem das Herz gebrochen hat. Aber in meinem Fall ist es einfach eine Lebenseinstellung. Die Welt hat so viel zu bieten. Es wäre schade, wenn man all das verpasst, nur weil man sich der Monogamie oder dieser veralteten Institution der Ehe hingegeben hat.“
„Schon mal dran gedacht, dass dir etwas entgeht, wenn du nur Sex ohne Gefühle hast?“ Er griff in seine Tasche und zog zu meiner Verwunderung ein paar Lollis raus. Verwundert starrte ich sie an. Er zog bei einem das Papier ab und steckte ihn in den Mund. Dann bot er mir auch einen an. War er der Candyman, oder was?
„Danke, nein.“
„Wie ist das bei dir? Kennst du den Unterschied?“, fragte Mika.
Ich lachte verlegen, ehe ich zugab: „Ich kann mir zwanglosen Sex ohne Gefühle gar nicht vorstellen.“
„Siehst du? Deswegen sind wir im Bett nicht kompatibel.“ Unsere Augen begegneten sich und ich spürte, wie Hitze in meine Wangen schoss. Hatte das etwa zur Debatte gestanden? „Nicht, dass ich darüber nachgedacht hätte“, fügte er hastig hinzu, als hätte er meine Gedanken gelesen.
„Natürlich nicht.“
„Du bist eher das Mädchen, das auf der Suche nach Erfüllung und Mr. Right ist, oder?“ Obwohl es aus seiner Sicht ein Fehler war, belächelte er mich und meine Märcheneinstellung nicht. Dafür gewann er ein paar Gummipunkte.
Ich seufzte. „Das kannst du in dieser Stadt vergessen.“
„Echt?“
„Ich habe kistenweise furchtbare Erfahrungen hinter mir, die mich dazu veranlassen, Freitagabend lieber in meinem ausgeleierten Schlafanzug, Brille und Hello Kitty Pantoffeln auf dem Sofa Eis zu essen und Mr. Grey bei heißem Sex zuzusehen, als die Chance auf eigenen zu erhöhen und in irgendeine Bar zu gehen.“ Wir schwiegen einen Moment. „Das klingt traurig, nicht wahr?“
„Ein bisschen“, gab er zu und lachte. „Was willst du daran ändern?“
Ich zuckte mit den Achseln. „Zurück nach Minnesota ziehen?“
Mika lachte laut. „Das ist ein bisschen drastisch, oder?“
„Ich nenne es pure Verzweiflung. Nach meiner Trennung ist diese Wohnung viel zu groß und vor allem zu teuer für mich.“
„Warum suchst du dir nicht eine andere?“
Ich seufzte. Das war eine gute Frage. „Schockstarre? Nach der Trennung von meinem Ex war einfach nicht die Zeit dafür, aber so langsam wird es finanziell eng. Abgesehen davon werde ich mit Chicago nicht so richtig warm. Ich muss einfach bald eine Entscheidung treffen.“
Er klatschte in die Hände. „Okay, das kann ich nicht zulassen. Dies könnte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft werden und ich kann einfach nicht zusehen, dass du vorzeitig das Handtuch wirfst. Chicago ist – auf seine ganz spezielle Weise – besonders. Gib mir ein paar Wochen Zeit, ja?“
„Um was zu tun?“
„Dich zu überzeugen, dass Chicago mehr zu bieten hat. Nimm nur mich zum Beispiel.“
Ich hob eine Braue. „Du bist gar nicht von dir überzeugt, oder?“
Mika sprang vom Hocker und breitete seine Arme aus. „Komm schon, schau dir dieses Lächeln an. Ist das nicht umwerfend?“
Ich konnte nicht anders und lachte laut. Mika brummte etwas und öffnete den Kühlschrank. Er stutzte. „Sag mal, isst du je mehr als diesen Käse?“ Er nahm ihn raus und betrachtete ihn angewidert. „Der spricht bald mit dir.“
„Ich bin keins von diesen Weibchen und koche so gut wie nie.“
Er riss die Augen auf. „Nie? Wovon lebst du denn dann?“
„Kantinenessen auf der Arbeit und …“, ich hob den Eisbecher hoch, „… Eis.“
Er rümpfte die Nase. „Und wofür dann die Küche?“
„Jede Wohnung hat eine Küche. Außerdem … vielleicht ändere ich meine Meinung mal.“
„Kannst du überhaupt kochen?“
„Klar.“ Ich errötete bis in die Haarspitzen. „Eier oder so.“
„Omelett? Oder Rührei?“
„Ich dachte eher an hart gekochte Eier.“
In diesem Moment war es um Mika geschehen. Diesmal lachte er über mich. Es dauerte eine Ewigkeit, ehe er sich wieder beruhigte. „Du nennst hart gekochte Eier zuzubereiten Kochen?“ Er schüttelte den Kopf und nahm eine weitere verstaubte Flasche Wein aus dem Regal. „Was dagegen, wenn wir die hier öffnen?“
„Aber nur, wenn du danach nicht mehr fährst.“ Die Worte waren schneller aus meinem Mund herausgefallen, ehe ich darüber nachdenken konnte.
„Du willst, dass ich hier schlafe?“ Ihm entfuhr ein leiser Pfiff und er grinste über beide Ohren. „Sorgst du so dafür, dass die Kerle über Nacht bleiben?“
„Du bist eine schreckliche Nervensäge, weißt du das?“ Ich wusste, er zog mich auf, doch ich errötete dennoch bis in die Haarspitzen. Zumindest glühten meine Wangen verräterisch. „Meinetwegen rufen wir dir ein Taxi oder du schläfst im Flur, aber du setzt dich nicht mehr hinters Steuer.“
„Es wäre schön, wenn ich auf dem Sofa schlafen könnte?“, fragte er versöhnlich. „Hast du keine Angst, dass ich in der Nacht über dich herfallen könnte? Immerhin bin ich ein Fremder für dich.“
Ich schluckte bei der Vorstellung. „Ich … nein, denn dann würde ich dir die Eier abschneiden.“
„Ich lass dir gern meinen Ausweis da, damit du weißt, dass ich kein Psychopath bin.“
„Ich glaube kaum, dass ein Ausweis mir das bestätigen wird. Nach allem, was ich bisher über dich erfahren habe, bist du schon ziemlich verrückt.“
„Okay, eine Sache solltest du vermutlich über mich wissen.“ Er senkte die Stimme geheimnisvoll und sah mich aufmerksam an, ehe er hinausrief: „Ich bin süchtig nach Lollis.“ Ich rollte mit den Augen, lächelte jedoch. „Und jetzt zu dir und deinen Fehltritten.“
„Wie bitte?“ Ungläubig starrte ich ihn an.
„Zuerst einmal: Dieser Schlafanzug und diese Pantoffeln … du solltest sie verbrennen.“
„Wieso? Was hast du gegen Hello Kitty?“
„Die sechsjährige Tochter meines Kollegen steht auf Hello Kitty.“
„Und?“
„Keiner will Hello Kitty vögeln“, sagte er und ich starrte ihn betroffen an. „Du solltest alles Kleinmädchenhafte loswerden und dir richtige Dessous kaufen, wenn du dir einen Mann angeln willst.“
„Woher willst du wissen, was ich unten drunter trage?“, echauffierte ich mich und spürte Hitze in meine Wangen steigen.
Er warf mir einen prüfenden Blick zu. „Du willst mir weismachen, auf deinem Slip befinden sich keine nervtötenden fröhlichen Katzengesichter mit rosa Schleife im Haar?“
„Du kannst mir jedenfalls nicht das Gegenteil beweisen“, sagte ich voller Überzeugung und steckte mir genüsslich einen weiteren Löffel Eiscreme in den Mund.
„Dann werde ich wohl nachsehen müssen, Peanut“, hörte ich ihn sagen und erstickte fast an meinem Eis. Er machte Anstalten, vom Hocker zu steigen und nach mir zu greifen.
„Träum weiter, Cowboy“, stieß ich aus und wehrte ihn mit meinen Füßen ab.
Sein Grinsen erhellte sein ganzes Gesicht und es blitzte vergnügt in seinen Augen.
„Mika“, rief ich warnend. Plötzlich ertönten von oben eindeutige Geräusche, die nichts mehr mit einem Streit zu tun hatten. Candice’ Stöhnen drang zu uns herunter und Mika und ich starrten uns fassungslos an.
„Muss seltsam sein, wenn sie ihre Lover wie ihre Dessous wechselt“, murmelte ich.
Er wirkte betreten auf mich. „Gerade ich kann nicht über sie urteilen. Ich finde, beiden Geschlechtern steht es zu, sich sexuell auszuprobieren. Sie ist das weibliche Gegenstück zu mir, wenn auch deutlich teuflischer.“
„Hat sie gewusst, welchen Ärger sie dir machen könnte?“
„Ja, ich denke schon. Vielleicht ist das meine Strafe für all die Male zuvor, als ich Frauen das Herz gebrochen habe.“ Er zuckte mit den Achseln.
Ich räusperte mich. Irgendwie kam es mir falsch vor, mit ihm über seine Frauengeschichten zu reden.
„Also … du denkst, ich sollte Hello Kitty aus meinem Kleiderschrank verbannen. Aber wieso sollte ich mich verstellen?“
„Weil es alle tun. Auch wir Kerle.“
„Tatsächlich?“, fragte ich verblüfft.
„Jeder, der in Bars geht, geht als die aufpolierte Version seiner selbst dahin. Er will sich verkaufen, um eine Frau abzuschleppen oder die Liebe seines Lebens kennenzulernen. Was auch immer.“
„Das ist traurig“, murmelte ich. „Wenn ich die aufpolierte Version von den Versagern kennengelernt habe, dann will ich die echte gar nicht erst treffen.“
Diesmal lachte Mika wieder. „Solche Erfahrungen machen wir alle durch, Peanut.“
„Peanut? Warum zur Hölle nennst du mich so?“
„Was? Gefällt dir der Kosenamen etwa nicht?“
„Nicht im Geringsten. Erdnuss? Wer will schon den Namen einer Nuss tragen?“ Ich schüttelte den Kopf. „Wenn man nur jemanden für eine Nacht erobern will, dann verstehe ich das ja, aber ich kann doch nicht für den Rest meines Lebens in unbequemen Dessous rumlaufen.“
„Natürlich nicht, aber … hast du schon mal einen Kerl erlebt, der loszieht und sagt, er will eine Ehefrau finden? Ich nicht. Alle Typen, die ich kenne, ziehen los, um zu erobern – und das meist nur für eine Nacht.“
„Siehst du: Pattsituation. Ich will nicht erobert werden.“
„Aber es geht doch darum, dass dein Eindruck hängen bleibt. Dass einer von diesen Typen sich in dich verliebt und du die Frau bist, für die er bereit ist, sein Single-Dasein aufzugeben.“
„Und du meinst, ich sollte darauf setzen, für einen dieser Kerle die Eine zu sein?“
„So sieht es aus.“
„Im Klartext heißt es: Ich soll eine Menge Frösche vögeln, bevor ich den Prinzen bekomme?“ Fassungslos starrte ich ihn an.
Er verzog bei dieser Umschreibung das Gesicht. „So hätte ich es jetzt nicht ausgedrückt, aber ja. Wenn du ihnen dein Döschen zeigst, wird dir einer sein Herz öffnen. Früher oder später.“
Diese Umschreibung ließ sich wiederum die Haare in meinem Nacken aufrichten. „Dann hoffen wir eher auf früher, statt auf später, sonst habe ich den Ruf eines Flittchens weg. Und das ist mein Stichwort. Ich gehe ins Bett.“ Ich stand auf und räumte die leere Eispackung in den Mülleimer.
„Stört es dich wirklich nicht, wenn ich diese Nacht auf deinem Sofa schlafe?“
„Nein, es sei denn, du sagst noch ein Wort gegen Hello Kitty, dann muss ich dich leider den Wölfen zum Fraß vorwerfen.“
Mika schluckte und nickte mit einem herzerweichenden Welpenblick.
„Ist er so furchteinflößend?“, hakte ich nach.
„Ja, vor allem, wenn nicht er oben Candice beglückt, sondern ein dritter Kerl und er an meinem Auto auf mich wartet.“
„In Ordnung. Dann mach es dir bequem. Aber ich muss dich warnen. Ich bin kein Langschläfer.“
„Gegensätze ziehen sich bekanntlich an. Gute Nacht, Peanut“, neckte er mich und ich verdrückte mich grummelnd ins Bad. Der Blick in den Spiegel bestätigte mir das, was ich befürchtet hatte. Meine Wangen glühten und ich fühlte mich so lebendig wie lange nicht mehr. An Schlaf brauchte ich nicht zu denken. So viel stand fest.